Gut, besser, Home Office?

15.09.2016

Im Job gute Leistung erbringen, ohne dass Freizeit- und Privatleben dabei auf der Strecke bleiben – geht nicht? Die Schweden beweisen in Sachen Home Office das Gegenteil und hängen Deutschland in den Nutzungszahlen deutlich ab. Doch ist dieses Arbeitsmodell überhaupt die Lösung für eine bessere Work-Life-Balance?

Die Vorteile der Arbeit im Home Office liegen an und für sich klar auf der Hand: die fehlende Anfahrt zum Büro spart nicht nur Zeit, sondern schont gleichzeitig die Umwelt. Die gewohnte Umgebung ohne störende Geräuschkulisse im Büro fördert die Konzentration und auch finanziell kommen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer besser weg. Das Unternehmen spart sich die anfallenden Kosten im Büro, der Mitarbeiter die Kosten für Benzin oder das U-Bahn-Ticket und die Verpflegung außer Haus.

Unterschiede zwischen den Ländern

Angestellte, die die Möglichkeit haben im Home Office zu arbeiten, sind laut einer Studie des DIW vom Februar diesen Jahres zufriedener mit ihrer Arbeit, ihrer Work-Life-Balance und arbeiten gleichzeitig mehr und effektiver. Trotzdem liegt Deutschland beim Anteil der Heimarbeiter europaweit im unteren Mittelfeld. Obwohl sich ein Drittel der Arbeitnehmer diese Option wünschen, arbeiten lediglich 12 Prozent gelegentlich oder regelmäßig von zu Hause aus.

Schwedische Unternehmen haben dieses Potenzial bereits für sich erkannt. Hier liegt der Anteil der Arbeitnehmer, die regelmäßig oder gelegentlich von zu Hause aus arbeiten, bei 26 Prozent. Und jedes zweite Unternehmen beschäftigt Mitarbeiter, die ihre Arbeit zumindest teilweise von zu Hause aus erledigen können.

Arbeitskultur im Fokus

Ninni Löwgren Tischer, Expertin für interkulturelle Angelegenheiten bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, sieht eine mögliche Ursache für die divergenten Zahlen zur Home Office-Nutzung vor allem in der unterschiedlichen Arbeitskultur der beiden Länder:

„Beide Kulturen sind resultatorientiert, bewerten die Arbeitsergebnisse aber unterschiedlich. In Schweden zählt tatsächlich in erster Linie das Endresultat. Wie dieses zustande kommt, spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle. Stimmt das Ergebnis, ist es zweitrangig, ob dieses im Büro, im Flieger, im Café oder eben im Home Office produziert wurde. In Deutschland dagegen ist die Präsenz am Arbeitsplatz nach wie vor sehr wichtig. Die hierarchischen Strukturen in vielen deutschen Büros erfordern eine gewisse Kontrolle der Leistungserbringung. Sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite legt man Wert darauf, Leistungen und Arbeitsergebnisse einzelnen Personen zuordnen zu können, nach dem Motto: ICH habe das gemacht.“

Familienorientiertes Arbeiten

Darüber hinaus seien auch gesellschaftliche Unterschiede mitverantwortlich für die Verbreitung der Home Office-Lösung in Schweden. Der Anteil von dort lebenden Familien mit Kindern wachse zunehmend. Während Mütter in Deutschland oftmals nur in Teilzeit arbeiten, hätten in Schweden viel mehr Mütter einen Vollzeit-Job. „Oft sind flexible Arbeitsmodelle wie Home Office eben die einzige Möglichkeit, dies zu gewährleisten. Die Schweden sind insofern schlichtweg pragmatischer“, so Ninni Löwgren Tischer.

Dass die schwedische Arbeitswelt auch sonst sehr familienorientiert ist, wird an den familienfreundlichen Regelungen zu Elternzeit und Kindergeld sowie der großzügigen finanziellen Unterstützung arbeitender Mütter und Väter deutlich. So können schwedische Eltern beispielsweise ihre kranken Kinder zu Hause betreuen und bekommen von der Sozialversicherung 80 Prozent des Gehalts ausgezahlt, ohne dass sie in der ersten Woche ein Attest vorlegen müssen.

Chance zur Mitarbeiterbindung

Bei Online Voices, einer schwedischen Tonproduktionsfirma und Stimmenagentur mit Hauptsitz in Linköping, ist die Arbeit im Home Office grundsätzlich möglich. Da die Hälfte der Mitarbeiter jedoch als Tonproduzenten oder Studiotechniker an die Tonstudios im Büro gebunden sind, steht die Möglichkeit zur Heimarbeit überwiegend den Projektleitern offen.

„Die Chancen liegen darin, engagiertere Mitarbeiter zu bekommen, die die Möglichkeit haben, ihren Alltag so zu gestalten, wie es ihnen passt, sich dadurch wohler fühlen und länger beim Unternehmen bleiben. Risiken sehe ich darin, dass Mitarbeiter, die von zu Hause aus arbeiten, anderen eher weniger erfahrenen Kollegen nicht in gleicher Weise helfen können, wie wenn sie im Büro wären. Ein anderes Risiko besteht darin, dass man als Chef möglicherweise Diskussionen über Ungerechtigkeiten führen muss, warum der eine darf und der andere nicht. Meiner Erfahrung nach funktioniert Home Office gut bei Personen, die stark eigenmotiviert arbeiten und viel zu tun haben“, so der Gründer und Geschäftsführer der Online Voices Europe AB, Kalle Widlius.

Die Bedenken, die Widlius äußert, machen deutlich, dass die Arbeit im Home Office nicht nur mit Vorteilen verbunden ist, sondern auch einige Risiken birgt.

Home Office in der Kritik

Der Studie des DIW lässt sich ebenfalls entnehmen, dass Angestellte, die von zu Hause aus arbeiten, häufiger unbezahlte Überstunden machen und damit Gefahr laufen, sich langfristig zu viel Arbeit zuzumuten. Gleichzeitig ist die Verlockung groß, während der Arbeitszeit auch die privaten E-Mails zu lesen und die nächste Urlaubsreise zu planen, wenn der Chef und die Kollegen einem nicht ständig über die Schulter schauen. Sind dann noch Kinder im Haus, birgt das heimische Umfeld definitiv ein erhöhtes Ablenkungsrisiko. Ein hohes Maß an Selbstdisziplin scheint damit für die Heimarbeit unerlässlich zu sein.

Ein weiteres Problem kann der fehlende soziale Aspekt bei der Arbeit in den eigenen vier Wänden darstellen. Während am Schreibtisch zu Hause die Vereinsamung droht, bietet das Büro als sozialer Treffpunkt die Möglichkeit zum Austausch mit Kollegen und fördert die gemeinsame Ideenfindung. Ein Grund übrigens, weshalb vor allem kleinere Start-up-Unternehmen, sonst bekannt für ihre moderne Unternehmenskultur, dem Arbeitsmodell Home Office eher ablehnend gegenüberstehen. Auch in Schweden ist der Anteil der Unternehmen, die Home Office anbieten, seit 2013 nicht weiter gestiegen.

„Um das Wir-Gefühl im Büro nicht zu untergraben, gilt es, für die Arbeit im Home Office den richtigen Umfang zu finden“, so Kalle Widlius.