Ninni Löwgren Tischer, Christian Clemens, Karsten Keller und Jörgen Kihlgren auf dem Podium im Seminarraum der Handelskammer. Links Moderatorin Karin Bock-Häggmark.

Ninni Löwgren Tischer, Christian Clemens, Karsten Keller und Jörgen Kihlgren diskutierten deutsches und schwedisches Management.

Christian Clemens berichtete über seine Zeit als Chef in Deutschland und wie er tiefgreifende Veränderungen herbeiführte

Karsten Keller empfand das schwedische Büro zu Beginn wie ein Wohnzimmer. Die Sofas durften bleiben aber das Aquarium musste weg

Viele der Teilnehmer aus allen Branchen verfügten über eigene Erfahrungen mit deutscher oder schwedischer Führung

Schweden können Feedback und Ideen verantworten, Deutsche Struktur und Durchführung, riet Ninni Löwgren Tischer

Ein guter Chef und ein gutes Management haben keine Nationalität, meinte Jörgen Kihlgren

Die deutsch-schwedische Journalistin Karin Bock-Häggmark moderierte die Podiumsdiskussion

Das Seminar wurde mit einem Frühstück in den Räumlichkeiten der Handelskammer eingeleitet

Viele nutzen die Zeit vor dem Seminar, um neue Kontakte zu knüpfen. Fotos: Deutsch-Schwedische Handelskammer

Deutscher vs. schwedischer Führungsstil: „Es gibt kein Richtig oder Falsch“

12.11.2015

Einfach mal keinen Schlips tragen – schon gilt man in Deutschland als Rebell. Die Richtung eindeutig vorgeben – und die schwedischen Kollegen verstehen es als diskutierbaren Vorschlag. Als schwedischer Chef in Deutschland oder deutscher Chef in Schweden gilt es, sich der kleinen aber feinen Unterschiede zwischen den Geschäftskulturen der beiden Länder bewusst zu sein. Dies wurde auf der Podiumsdiskussion der Deutsch-Schwedischen Handelskammer und der schwedischen Führungskräfteorganisation Ledarna vergangene Woche deutlich.

„Als ich nach Deutschland ging, kam ich in ein traditionelles und hierarchisches Unternehmen mit verschlossenen Chefetagen und dergleichen. Ich wusste, dass ich nicht sehr lange dort bleiben würde – ich hatte einen Drei-Jahres-Vertrag – und wollte die Unternehmenskultur schnell verändern. Also öffnete ich direkt am ersten Tag die Türen und versuchte auch vieles andere, was den Abstand zwischen Chefs und Mitarbeitern symbolisierte, zu entfernen. Mir war völlig bewusst, dass ich dadurch ein komplett anderer Chef werden würde, als ihn die Angestellten bis dahin gewohnt waren“, sagte Christian Clemens, gebürtiger Schwede und bis zum Sommer 2015 Vorsitzender der Geschäftsführung der TUI Deutschland GmbH.

Charterkönig ohne Schlips

Während seiner Zeit im deutschen TUI-Hauptsitz packte er vieles an, um die Führungskultur des Unternehmens zu modernisieren. Schon sein ungewöhnlich informeller Kleidungsstil sorgte für Schlagzeilen in der Wirtschaftspresse. Manager wie den „Charterkönig ohne Schlips“ waren die Deutschen auf ihren Chefetagen nicht gewohnt. Aber Christian Clemens ging es nicht darum, dem Unternehmen einfach nur seinen schwedischen Führungsstil aufzudrücken. Er nahm gleichwohl auch das auf, was auf der anderen Seite der Ostsee gut oder sogar besser funktionierte.

„Die Deutschen haben ihre unternehmensinternen Prozesse im Griff. Man ist da sehr präzise und geht keine Veränderung an, ohne sich die aktuelle Situation genau anzuschauen und zu definieren, was getan werden muss, um diese zu verbessern. In Schweden setzt man dagegen etwas zu oft auf das Prinzip Trial and Error. Hat man da seine Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht, führt das zu Problemen. Deutsche arbeiten produktiv und lange, aber nach Feierabend schalten sie das Mobiltelefon aus und checken auch keine Arbeitsmails mehr. Das finde ich vernünftig. Außerdem schätze ich die Deutlichkeit deutscher Entscheidungen. Ist ein Beschluss gefasst, wird dieser auch durchgeführt. Dabei kann man dann sogar Hilfe von der Arbeitnehmerseite bekommen, da diese die ganze Zeit an der Entscheidungsfindung beteiligt war“, so Christian Clemens.

Entscheidung oder Vorschlag?

Mit dieser deutschen Deutlichkeit im Gepäck kam auch Karsten Keller nach Schweden, als er vor knapp 13 Jahren seinen Posten als CFO für Ost- und Nordeuropa bei DB Schenker antrat. Inzwischen hat er jedoch gelernt, dass diese bei schwedischen Kollegen und Partnern zu Missverständnissen führen kann.

„In Schweden hat man ein Meeting nach dem anderen und es ist wichtig, dass alle ihre Meinung sagen können. Während solcher Besprechungen kann es vorkommen, dass man als Deutscher etwas sagt, was im Prinzip eine Anweisung oder finale Entscheidung ist. Die Schweden in der Runde verstehen das aber ganz und gar nicht so. Sie sagen vielleicht erst einmal nichts, weil sie darüber nachdenken möchten oder schlichtweg zu höflich sind, ihre eigentliche Meinung zu äußern. Als Deutscher deutet man dieses Schweigen als Einverständnis und geht davon aus, dass die Entscheidung jetzt getroffen ist. Die Schweden sehen das Ganze aber nur als einen Vorschlag, der noch nicht einmal gründlich diskutiert wurde. In solchen Situationen versuche ich nunmehr als Dolmetscher zu agieren und beiden Seiten die jeweils andere Sichtweise zu vermitteln.“

Langsamer aber effektiver Prozess

Auch wenn die schwedische Entscheidungsfindung mit all ihren Meetings und Abstimmungen lange dauert, ist Karsten Keller davon überzeugt, dass dieser Weg auf lange Sicht zu besseren Ergebnissen führt, als wenn der Chef einfach selbst entscheidet. Schweden arbeiten seiner Ansicht nach auch effektiver:

„In Schweden haben wir eine ruhige und gelassene Unternehmenskultur. An deutschen Arbeitsplätzen sieht und hört man deutlicher, dass tatsächlich gearbeitet wird. Wenn uns Kollegen aus Deutschland besuchen, bekommen sie häufig den Eindruck, dass Stress bei uns nicht vorkommt und man hier nicht richtig ‚kämpft‘. Aber wir haben Vergleiche zwischen Schweden und Deutschland angestellt und konnten feststellen, dass dieses Bild nicht stimmt. Unsere schwedische Einheit arbeitet sogar effektiver als eine vergleichbare deutsche.“

Stärken beider Seiten nutzen

Beide Unternehmens- und Führungskulturen haben also ihre Vor- und Nachteile. Doch wie gestaltet man die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Schweden nun so, dass sie in der Praxis reibungslos funktioniert? Ninni Löwgren Tischer von der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, die fast wöchentlich Unternehmens-Coachings zur deutschen oder schwedischen Geschäftskultur durchführt, gab den Rat, sich die Stärken beider Seiten zu Nutze zu machen.

„Die Schweden sind es gewohnt, einander Feedback zu geben und neue Ideen und Vorschläge einzubringen. In einem Verhandlungsprozess könnten sie vor allem diese Funktion übernehmen, während die Deutschen vielleicht eher den Ablauf der Meetings verantworten, Entscheidungen formulieren sowie die Einhaltung dieser überwachen. Man kann sich selbst und seinen kulturellen Hintergrund niemals vollständig abschütteln und es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Aber man sollte keine Wertung der kulturellen Unterschiede vornehmen und stattdessen aktiv auf Kenntnissen basierte Entscheidungen treffen.“

Führung jenseits von Stereotypen

Jörgen Kihlgren, Führungskräfte-Coach bei Schwedens größtem Chefverband Ledarna, mahnte an, nicht immer nur auf das „typisch Schwedische“ und „typisch Deutsche“ zu schauen: „Ich denke, dass man mit Stereotypen vorsichtig sein sollte. Misst man ihnen zu große Bedeutung bei, werden sie allzu gegenwärtig und schließlich zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Ein guter Chef und ein gutes Management haben keine Nationalität.“

Gleichzeitig plädierte er dafür, dass mehr Schweden Deutsch lernen sollten, damit sich die guten wirtschaftlichen Beziehungen mit dem deutschsprachigen Teil der Welt weiterhin positiv entwickeln können. „Ich erinnere mich noch, wie mich mein Sohn vor einigen Jahren nach der Schule fragte, welche Sprache er neben Englisch lernen sollte. Da antwortete ich ihm, dass dies außer Frage stehe. Natürlich müsse er Deutsch wählen“, berichtete Jörgen Kihlgren scherzhaft.

Mehr Deutschunterricht in Schweden

Christian Clemens teilte seine Ansicht. Für ihn ist es erschreckend, wie wenige Schweden heutzutage Deutsch lernen. „Deutsch ist für die Karriere eine wesentlich wichtigere Sprache als die meisten anderen. Sicherlich ist es nett, wenn man sich auf Gran Canaria einen Cocktail bestellen oder einige Worte auf Chinesisch sagen kann. Aber Deutschland ist Schwedens größter Handelspartner und es gibt einen intensiven Austausch zwischen den Ländern. Ich war selbst überrascht, wie schwer es ist, in Deutschland ohne die Landessprache auszukommen. Und vor allem kann man eine deutsche Organisation nicht ausschließlich auf Englisch führen.“

Sobald man die Sprache beherrsche, gebe es jedoch fantastische Möglichkeiten innerhalb Deutschlands, meint Christian Clemens – sowohl für Chefs, die die guten Seiten des schwedischen Führungsstils mit nach Deutschland bringen, sowie ganz allgemein für schwedische Unternehmen, vor allem im Dienstleistungssektor:

„Die Deutschen bezeichnen ihr Land selbst als Servicewüste. Insbesondere in Organisationen, in denen der Kunde im Zentrum steht, kann es katastrophal enden, wenn alle Fragen einfach nach oben weitergeleitet werden und niemand veraltete Strukturen in Frage stellt. In so einem Fall erreicht man Veränderungen nur, wenn die Führung sie vorlebt. Macht man das als Schwede geschickt und nutzt wohlwissend den Fakt, dass Deutsche schwedischen Dingen meist sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, gelingt dies mit großer Wahrscheinlichkeit“, schloss Christian Clemens ab.

 

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