Foto: Niklas Åkesson/Epicenter/Sebastian Borg/Media Evolution

Schweden auf dem Weg in die digitale Zukunft

26.04.2016

Die Digitalisierung ist dabei, die gesamte Wirtschaft zu revolutionieren: neue Geschäftsmodelle entstehen, alte werden obsolet. Schweden spielt bei dieser gewaltigen Umstrukturierung eine Vorreiterrolle. Die Entwicklung stellt das Land von Spotify, Skype und Klarna aber auch vor große Herausforderungen.

Auf seine Einhörner ist Schweden ganz besonders stolz. Kaum ein Gespräch über Digitalisierung und Start-ups, in dem diese Fabelwesen nicht erwähnt werden. Einhörner sind im Jargon der Branche junge Unternehmen, die auf einen Wert von mehr als einer Milliarde Dollar geschätzt werden.

Nicht weniger als sieben Einhörner hat das kleine Schweden, genauer gesagt die Startup-Metropole Stockholm, in den letzten Jahren hervorgebracht, unter anderem den Musikstreaming-Dienst Spotify, die Audioplattform Soundcloud, den Zahlungsdienstleister Klarna sowie die Spieleentwickler King und Mojang.

„Stockholm hat nach dem Silicon Valley gemessen an der Bevölkerungszahl die erfolgreichste Tech-Start-up-Szene der Welt“, erklärt Niklas Zennström in der Zeitung Svenska Dagbladet. Zennström muss es wissen, gründete er mit Skype doch selbst eines der seltenen Einhörner.

Hervorragende digitale Infrastruktur

Schweden, so scheint es, kommt mit den Herausforderungen der Digitalisierung außergewöhnlich gut zurecht. Nach der Jahrtausendwende schossen Start-ups, also junge, innovative und wachstumsorientierte Unternehmen, wie Pilze aus dem Boden.

SUP 46, das neue Start-up-Zentrum in der Stockholmer Innenstadt, fasst einige der schwedischen Erfolgsfaktoren zusammen: eine hervorragende digitale Infrastruktur, eine ausgeprägte Ingenieurs- und Designkultur, Inspiration durch erfolgreiche Vorbilder und flache Hierarchien, die Kreativität fördern. Zudem seien die Schweden „early adopters“, also technologischen Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Der kleine nationale Markt zwinge die Jungunternehmer ferner dazu, von vorneherein international zu denken. Ideale Voraussetzungen also für das Bestehen auf einem globalisierten, digitalisierten Markt.

Doch neben dem anfänglichen Enthusiasmus über die erfolgreichen Superstars der Start-up-Szene und den Gründerboom macht sich langsam ein anderes Gefühl breit: Schweden, so fürchten viele, laufe Gefahr, seine Vorreiterstellung in Sachen Digitalisierung zu verlieren.

„Unsere Wettbewerbsfähigkeit hat sich in den letzten fünf Jahren verschlechtert“, sagt Johan Carlstedt von der Königlichen Akademie der Ingenieurwissenschaften (IVA) in Stockholm. „Andere Länder erhöhen ihre Innovationskraft schneller als Schweden.“ Carlstedt, der das Projekt „Attraktivität für nachhaltiges Wachstum“ leitet, sieht Anpassungsprobleme vor allem bei den großen Industriebetrieben, doch auch die kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) bräuchten Hilfe.

Regierung fördert KMU

Diese sind selbst im Land von Riesen wie Electrolux, Ericsson, Ikea oder SKF der eigentliche Motor der Entwicklung. Vier von fünf neuen Arbeitsplätzen entstehen bei KMU. Daher legt auch die schwedische Regierung in ihrer neuen Exportstrategie, die im Herbst 2015 präsentiert wurde, einen besonderen Fokus darauf, „die Export- und Internationalisierungsmöglichkeiten der KMU zu stärken“.

Vor allem die sogenannten born-globals, also innovative und von Anfang an international ausgerichtete Unternehmen, wolle man fördern, erklärt das Wirtschaftsministerium. Gedacht sei dabei vor allem an die Schaffung von Netzwerken und Finanzierungsmöglichkeiten, an Erleichterungen für den Online-Handel und an Hilfe bei der Anwerbung von Fachkräften.

Konkret hat das Ministerium bislang im eigenen Haus die neue Position eines Start-up-Koordinators geschaffen. Im Frühjahr will die Regierung im Parlament zudem die Bildung einer staatlichen Fondsgesellschaft vorschlagen. Sie soll 2017 ihre Arbeit aufnehmen und ausschließlich in private Fonds investieren, die sich ihrerseits der Anschubfinanzierung von Start-ups widmen. Eine solche Lösung haben Experten schon lange gefordert. Auch will die Regierung nach eigenen Angaben die steuerlichen Regelungen für Aktienbezugsrechte überprüfen. Deren hohe Besteuerung mit bis zu 57 Prozent ist vielen Gründern ein Dorn im Auge.

Schwierigkeiten bei der Finanzierung

Überhaupt bereitet der Zugang zu Kapital vielen neuen Unternehmen Probleme. Nach wie vor hat Schweden Schwierigkeiten, ausländische Investoren anzulocken. Im jüngsten OECD-Bericht zu diesem Thema kommt Schweden auf einen schwachen 25. Platz. Doch auch einheimische Investoren engagierten sich nicht so gerne langfristig, sagt Jan Jansson, Berater bei Schwedens größtem Zentrum für Gründer- und Innovationsberatung, Start-Up Stockholm.

Tausende von Gesprächen mit hilfesuchenden Neuunternehmern hat Jansson bereits geführt. Für eine Startfinanzierung, so sein Fazit, stünden die Chancen noch relativ gut. Unter anderem gebe es die Innovationsbehörde Vinnova oder die staatliche Finanzierungsgesellschaft Almi. „Doch wenn du dein Unternehmen erst einmal eröffnet hast, wirst du allein gelassen“, meint Jansson. Auch die Verteilung der Unternehmensförderung hält er für ineffektiv. „Der Staat verteilt mehrere Millionen Kronen an eine Vielzahl von Organisationen. Da hat man keinen Überblick und keine Kontrolle mehr.“

Johan Carlstedt von der Ingenieurakademie bläst ins selbe Horn. Er nennt das derzeitige Förderungssystem „fragmentiert, kurzsichtig und anorektisch“. Es brauche mehr zentrale Steuerung und ein nationales Innovationssystem. In Schweden, so kritisiert auch Jansson, dominiere das Regionalprinzip. Dabei sei eine Zusammenarbeit über Provinzgrenzen hinweg vermutlich lohnenswerter.

Einen ganz anderen Weg, an Geld zu kommen, empfiehlt hingegen Björn Westerholm, Geschäftsführer von MyFC. „Mehr Unternehmen sollten früher an die Börse gehen“, findet Westerholm, der 2014 mit seiner Firma diesen Schritt gewagt hat. So könne man die Zahl der langfristiger denkenden Anteilseigner erhöhen.

Nicht nur Kapital fehlt

Die Beschaffung von Kapital ist aber nicht das einzige Problem in der Start-up-Welt. Häufig fehlt es auch an Know-how und technischen Möglichkeiten, eine brillante Idee in einen kommerziellen Erfolg zu verwandeln. Effektive Innovationszentren können da Abhilfe schaffen.

Ein solches ist Things, untergebracht in einem zweistöckigen Gebäude auf dem Campus der Königlich Technischen Hochschule KTH in Stockholm. Things, so sagt Geschäftsführerin Linda Krondahl, sei der schwedische Treffpunkt Nummer eins für Start-ups, die mit Hardware arbeiten. Das Zentrum ist ein Ableger des Inkubators Sting. Seinen mehr als 30 Mitgliedern stellt es neben Büroräumen eine Werkstatt mit 3D-Drucker zur Verfügung, aber auch – und das ist vermutlich wichtiger – Kontakte. Partner von Things sind nämlich Industriegiganten wie ABB, Assa Abloy, Husqvarna oder der Bau- und Immobilienkonzern NCC.

„Viele große Unternehmen“, sagt die gelernte Ingenieurin Krondahl, „haben verstanden, dass sie nicht alles selbst machen können.“ Sie suchten Hilfe bei den Kleinen. „Wir haben bei Things zum Beispiel ein Unternehmen, das Drohnen entwickelt, was wiederum NCC und Husqvarna interessiert“, erzählt sie. „In Zukunft kann man dann eine Drohne über ein Dach fliegen lassen, um zu sehen, wieviel Schnee dort liegt.“ Das sei sicherer und billiger, als einen Menschen hochzuschicken.

Inkubatoren im ganzen Land

Things ist unabhängig von Investoren und kann daher auch keine Gelder zuschießen. Das hingegen tun zahlreiche Inkubatoren und Wissenschaftsparks, die Schweden von Nord nach Süd durchziehen. 65 von ihnen sind in der Branchenorganisation Swedish Incubators and Science Parks (SISP) zusammengeschlossen.

Hoch oben im Norden konzentriert sich beispielsweise Uminova in Umeå auf Life Science und IT. In der alten Textilmetropole Borås gibt es Modeinkubatoren, rund um Trollhättan, dem ehemaligen Sitz von Saab Automobil, haben sich Technik-Start-ups etabliert. Im Malmö betreibt die Kreativwirtschaft die Media Evolution City. Besonders gut schneiden in internationalen Vergleichsstudien wie dem UBI Global Incubation Ranking das Uppsala Innovation Centre und Chalmers Innovation in Göteborg ab.

In der medialen Wahrnehmung dominieren Technikunternehmen im Dienstleistungsbereich die Start-up-Szene. Das Spektrum ist jedoch deutlich breiter. Als SISP gemeinsam mit der Stiftung ÅForsk Ende 2015 Stipendien an Schwedens innovativste Unternehmer vergab, ging es bei den preisgekrönten Geschäftsideen unter anderem um Algen als Abwasserreiniger, Segways mit Sitz und Dolmetschen auf Distanz.

Patentschutz nicht vergessen

Viele Gründer, so warnt MyFC-Chef Björn Westerholm in diesem Zusammenhang, vergäßen jedoch den Patentschutz. „Ich persönlich glaube, dass schwedische Unternehmen viel mehr auf intellectual property (IP), den Schutz ihrer Technologien, setzen müssten.“ Nur so könne man vermeiden, dass erfolgreiche Technikideen von großen Firmen geklaut würden.

Die IT-lastige Start-up-Szene sei diesbezüglich mit schlechtem Vorbild vorangegangen. Dort gehe es in erster Linie um das „Zeitmonopol“, also die schnelle Umsetzung von Ideen, und nicht um deren Schutz. „IT hat die Sicht auf IP negativ beeinflusst“, meint Westerholm.

An innovativen Ideen mangelt es in Schweden jedenfalls nicht. Doch auch wenn häufig das starke soziale Schutznetz als Ursache für die Gründerfreudigkeit der Schweden genannt wird, weil es Misslingen nicht zur persönlichen Katastrophe macht, wagen viele nicht den Schritt in die Selbständigkeit.

„Das Sozialsystem hat immer noch das Angestelltenverhältnis als Norm“, kritisiert Jan Jansson. „Ein über 40-jähriger Ingenieur bei Ericsson hat dort ein gutes Gehalt und eine interessante Arbeit“, ergänzt Johan Carlstedt von der Akademie der Ingenieurwissenschaften. „Da fällt es schon nicht leicht, den Schritt in die Unsicherheit zu wagen.“

Prinz Daniel inspiriert Schüler

Um das Unternehmertum gerade jungen Leuten schmackhaft zu machen, hat die Akademie vor zwei Jahren unter anderem eine Zusammenarbeit mit Prinz Daniel, dem Ehemann von Kronprinzessin Victoria, eingeleitet. Im Rahmen des Prins Daniels Fellowship reist man an schwedische Schulen und Universitäten, um Schüler und Studenten zu inspirieren. Auch von deutschen Start-ups lässt man sich inspirieren.

Egal ob Schweden oder Deutschland: Die Digitalisierung fordert neue Denkweisen von jedem einzelnen. „Ich bin nicht mehr der Angestellte, der mit etwas arbeitet, sondern ich werde zum Unternehmer, der Dienste schafft, die vorher vom Angestellten erledigt wurden“, beschreibt Jan Jansson von Start-Up Stockholm den Prozess.

Konkret heißt das beispielsweise: Die Kassiererin im Supermarkt wird überflüssig, weil die Kunden ihre Waren selbst scannen. Stattdessen kann sie künftig anbieten, als Einkaufsberaterin im Laden oder online zu arbeiten. Das Entwicklungspotenzial sei da, meint Jansson, und verweist unter anderem darauf, dass erst sieben Prozent des Einzelhandels in Schweden per Internet abgewickelt würden.

„Die neuen digitalen Unternehmen“, erklärt auch das schwedische Wirtschaftsministerium, „braucht es zur Umstellung der gesamten Wirtschaft“. Der Start-up-Sektor habe da eine wichtige Signalwirkung. Gleichzeitig, so hofft die Regierung, werde das soziale Schutznetz gemeinsam mit Weiterbildungsmaßnahmen die derzeitigen Arbeitnehmer vor negativen Folgen der Umstellung bewahren. „Wir werden die Menschen schützen“, so das Ministerium, „aber nicht die alten Jobs.“

 

Fakten: Finanzierung in Schweden

Für Start-ups in Schweden gibt es viele öffentliche Finanzierungsmöglichkeiten. Die wichtigsten Geldgeber sind:

  • Almi (staatliche Förderbank): Gründungskredite, Kredite und Garantien für kleine und mittelgroße Unternehmen; Risikokapital für Start-ups in der Anfangs- und Etablierungsphase
  • Vinnova (Innovationsbehörde): finanzielle Unterstützung für kleine und mittelgroße Unternehmen mit innovativen Ideen
  • Tillväxtverket (Behörde für wirtschaftliches und regionales Wachstum): verschiedene Fördertöpfe, vor allem für Unternehmen außerhalb der Großstädte oder Start-ups mit internationalen Ambitionen
  • Energimyndigheten (Energiebehörde): Zuschüsse für Unternehmensgründungen im Bereich Energie- und Umwelttechnik

Zudem kann man bei den 21 Provinzialregierungen und 10 Regionalverwaltungen Fördergelder beantragen.